Suche
  • Tutzinger Appell.
  • Für ein glaubwürdiges Radio.
Suche Menü

Nicht live, halb live, 1Live.

„Willst du den Hörer erreichen, dann muss dein Beitrag lebendig sein.“ Das hat jedeR RadiomacherIn schon mal gehört. Zu Recht. Auch die Radiomenschen von 1Live nehmen sich das wohl zu Herzen. Und – verzeiht diesen Gag – der Sendername ist Programm. Naja, er will es unbedingt sein. Denn was wirklich live ist und was nicht, das ist manchmal schwer rauszuhören. Immer wieder weisen uns HörerInnen auf irritierende Formen hin. Zwei Beispiele:


Für Verwirrungen sorgt z.B. die 1Live-Reportage (früher PlanB). Sie wagt einen spannenden Spagat: Ein Mix aus Reportage, Gespräch, Moderation. Kunstvoll gebaut und aufeinander abgestimmt. Auf Sandra Müllers Blog radio-machen.de hat ein Macher darüber geschrieben, wie das funktioniert:
Ein Moderator spricht mit dem Reporter. Beide sitzen dabei im Studio. Wir hören die Hintergrundgeräusche aus der Situation vor Ort. Aber schon das wird nicht immer allen klar, wie uns ein Hörer über eine 1Live Reportage  aus dem Juni berichtet (die inzwischen leider nicht mehr nachzuhören ist):

Der Moderator im Studio unterhält sich mit dem vermeintlichen Außenreporter, der es wundersamer weise schafft, innerhalb von wenigen Minuten von Wuppertal nach Hamburg zu reisen („Du warst ja gerade eben noch in Wuppertal…“). Später stellt sich dann heraus, dass deutlich mehr Zeit verstrichen ist („Du hast die beiden ja fast ein Jahr begleitet“).

Was für die einen Kunstform ist, ist anderen viel zu schwammig: Wer spricht denn jetzt gerade und wo befindet der sich? Zusätzlich schwierig: Nach unserem Höreindruck wird suggeriert, die Sendung sei live. Beide treffen jetzt im Studio aufeinander, reden live on air über das Erlebte. Der Reporter spielt die passende Atmo dazu ein. Nach unseren Informationen wird die 1Live-Reportage aber vorproduziert. Warum also so viel Verwirrung stiften?

„Live“ GamingTipp: „Schwing Dich mal in das Gebäude rein.“

Diese nur von Kennern erkennbare Vermischung von Live-Gespräch und aufgezeichneten Inhalten ist allerdings kein Einzelfall bei 1Live: Noch größere Bauchschmerzen haben wir beim GamingTipp. Hier das Beispiel vom 8.9.2018:


Erstmal: Der Tipp zum neuen Spiderman-Spiel kommt gut rüber, hat eine ansprechende Aufmachung. Man hört sich das gerne an und lernt dabei.

Moderatorin und Spielecheckerin unterhalten sich über die Vorzüge des Spiels. Im Hintergrund hört man Spielgeräusche und Musik. Alles sehr lässig, locker – und das, obwohl die beiden das Spiel gerade miteinander spielen. Live im Studio. So wird das jedenfalls suggeriert:

„Ok, schwing dich mal in das Gebäude rein“, sagt die Spielecheckerin zur Moderatorin. Da sind wohl echte Könnerinnen am Werk. Oder ist es gar nicht so live, wie es 1LIVE erscheinen lässt? Das hat auch ein regelmäßiger 1LIVE-Hörer und offensichtlich auch Radiomacher gedacht – Leon Tanski (@radioholiker):

Auf Nachfrage sagt er noch:

Eine offensichtliche Täuschung? Wir sind uns nicht so sicher, dass 95% der HörerInnen das auch verstehen.

Es bleiben also drei Möglichkeiten: Entweder sind die Atmo-Einspieler vorher ausgesucht und aufgezeichnet und der Sender suggeriert, es werde gerade live gespielt. Oder Moderatorin und Spielecheckerin haben zuvor das Spiel wirklich gespielt und dann einen Talk daraus aufgezeichnet und zusammengebaut.

In beiden Fällen werden ZuhörerInnen verarscht, weil so getan wird, als wäre das live im Studio und nicht aufgezeichnet. Für uns bei Fair Radio ein No-Go.

Die Dritte Möglichkeit wäre: Das Spiel wird tatsächlich live im Studio gespielt und die Macher von 1LIVE schaffen es, das so rund klingen zu lassen und im Zeitrahmen zu bleiben. Hohe Kunst.
Diese letzte Option halten wir wegen des Aufwands für unwahrscheinlich.

Also fragen wir nach: Mit einiger Verspätung kommt die Antwort. Sie ist etwas kryptisch formuliert:

Die Rubrik „1LIVE Spiele“ wird in einem Live-Kollegengespräch zwischen Moderator/in und 1LIVE Spieleexperte/in geführt. […] Da wir eine zeitliche Begrenzung der Wortinhalte bei 1LIVE haben, müssen Highlights (oder auch Lowlights) des jeweiligen Spiels verkürzt dargestellt werden. Es wäre in dieser Livesituation nicht möglich, diese Szenen ‚auf den Punkt’ zu spielen und akustisch aufzubereiten. Entsprechend ist das Live-Gespräch am Ende eine komprimierte Zusammenfassung aus dem, was der Autor im Vorfeld erarbeitet hat. WDR-Pressestelle

Vorher aufgezeichnet wurde also nicht. Zumindest nicht das Gespräch. Aber wir lesen daraus, dass die Spielszenen „Highlights“ sind und „verkürzt“ dargestellt werden. Also müssen sie aufgezeichnet sein. Immerhin sei es „nicht möglich ‚auf den Punkt’ zu spielen“.

Warum also wird den HörerInnen dann suggeriert, das Spiel werde gerade live gespielt? Warum wird den HörerInnen nicht einfach klar gemacht, dass die Kunstform Gesprächsreportage auch kunstvoll VORHER gebaut wird?

Es gibt dazu viele gute Möglichkeiten, um halbe oder ganze Live-Fakes zu vermeiden. Dabei muss man nicht auf die ehrwürdige Deutschlandfunkformulierung „Das haben wir vor der Sendung aufgezeichnet“ zurückgreifen. Wie es rund und trotzdem ohne Fake geht, das haben wir hier in unseren Ethik-FAQs zusammengestellt.

AutorInnen: Katharina Thoms, Constantin Pläcking

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


+ 62 = 66