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„Frei erfunden“? Jörg Kachelmann streitet mit dem rbb übers Wetter

Fair Radio veröffentlicht immer wieder Artikel beim Blog „Übermedien“. Dieser Artikel erschien dort zuerst:

Der Meteorologe Jörg Kachelmann ist dafür bekannt, dass er auf Twitter hart austeilt, vor allem gegen Journalisten und andere Meteorologen. Gerade erst arbeitete er sich am rbb-Inforadio ab. Kachelmann behauptet, die Informationswelle des Rundfunks Berlin-Brandenburg verbreite im Hörfunk und im Internet falsche Wetter- und Temperaturwerte. Sie seien „frei erfunden“, „fake“, schreibt Kachelmann. Der Sender bestreitet das. Was stimmt?

Immer nach seinen Nachrichten nennt das rbb-Inforadio ausgewählte Temperaturwerte aus dem Sendegebiet. Auf der Webseite des rbb findet man zudem „aktuelle Temperaturen“ und Angaben zur Witterung aus vielen Orten in Berlin und Brandenburg. Bereitgestellt werden die Daten von der MeteoGroup Deutschland, zu der inzwischen auch Kachelmanns ehemalige Firma meteomedia AG gehört – und angeblich handelt es sich um aktuelle Ist-Werte.

Kachelmanns Kritik ist, dass es sich bei den Informationen auf der rbb-Webseite gar nicht um echte Messwerte handle, sie würden lediglich berechnet, was für Kachelmann das gleiche ist wie „erfunden“. Eine numerische Wetterberechnung halte er für nicht seriös, nur real gemessene Werte von Wetterstationen würden zählen. Was Kachelmann zu dem Schluss führt, der „seriöse Sender“ rbb sei „reingefallen“ auf einen „unseriösen Wetteranbieter“.

Temperaturen auf der Webseite des rbb. Schreenshot: rbb

„Es gibt riesige Unterschiede auch innerhalb der Stadt Berlin“, sagt Kachelmann auf Nachfrage. Manchmal seien das „10 Grad Unterschied oder mehr“, und „vor allem am frühen Morgen“ könne es vorkommen, dass die berechneten Werte mit der Realität vor Ort nicht überein stimmten. Das würden die Menschen auch merken, denn wenige Grad Unterschied können morgens schon etwas ausmachen, zum Beispiel: Eis kratzen oder eben nicht.

Auch Kachelmann nutzt für seine Seite Berechnungen, allerdings lediglich, um das Wetter vorherzusagen, und nicht um aktuelle Wetterwerte zu vermelden. „Vorhersagen machen wir auch mit allen möglichen Modellen, wir faken aber keine Messwerte“, sagt Kachelmann, der sich auch lustig darüber macht, dass der rbb für den Ort Nauen „heiter, leichter Regen“ vermeldete. „Heiterer Himmel und Regen gleichzeitig, so selten“, schreibt Kachelmann.

Deutscher Wetterdienst stellt sich hinter Kachelmann

Auch der Deutsche Wetterdienst hält es „für bedenklich, dass Wetterbeobachtungen durch Interpolation generiert werden“, sagt Pressesprecher Andreas Friedrich. Zwar gebe es Wetterlagen, bei denen etwa ein Messwert aus Offenbach auch für Frankfurt genutzt werden könne. Aber es gebe eben auch regelmäßig solche, bei denen das nicht gehe. Habe ein Ort noch Nebelfelder und im nächsten scheine bereits die Sonne, führe das zu Temperaturunterschieden, die eine Berechnung gar nicht darlegen könne. Sie sei deshalb „sehr fraglich“ und habe auch für ihn den „Status einer Fake-Meldung“, sagt Friedrich.

rbb und MeteoGroup Deutschland sehen das anders. Natürlich könne man „auch den Ist-Wetterzustand – genauso wie Vorhersagen – für beliebige Orte mit wissenschaftlichen Methoden ableiten, auch ohne dass dort Messungen vor Ort stattfinden“, sagt Dennis Schulze, Chef-Meteorologe der MeteoGroup.

rbb: „Können Vorwürfe nicht im Detail nachvollziehen“
Der rbb sagt, er habe es in der täglichen Praxis „so gut wie nie“ erlebt, dass sich Hörer, Zuschauerinnen oder Nutzer über falsche Wetterwerte beschweren würden. Der Sender gibt sich dementsprechend gelassen: „Wir können die Vorwürfe von Herrn Kachelmann im Detail nicht nachvollziehen und wollen ehrlich gesagt auch den entsprechenden Aufwand nicht leisten“, sagt rbb-Sprecher Justus Demmer. Die Berechnung sei seriös, fuße „auf den fachüblichen Berechnungsmodellen“ und beziehe „unter anderem die umliegenden realen Messpunkte und die geografischen Gegebenheiten ein“.

„Wir wissen, dass es auch zu Messfehlern, Übermittlungslücken oder falschen Aktualisierungen kommen kann, auch so könnten also die von Herrn Kachelmann monierten Werte zustande gekommen sein. Wir hatten mitten im Sommer tagelang eine Messstation, die statt Regen Schnee meldete. Wenn so etwas auftaucht, melden wir das an den Dienstleister zurück, dann gibt es entsprechende Reparaturen/Korrekturen.“

Auch Matthias Habel von der WetterOnline GmbH findet das Vorgehen seriös, man könne es nicht „fake“ nennen:

„Entsprechende Verfahren sind in der Meteorologie absolut üblich und dienen dazu, aus einer beliebig verteilen ‚Punktwolke‘ von Messungen Aussagen über das aktuelle Wetter für Orte treffen zu können, an denen keine Messung durchgeführt wird.“

Habel räumt dennoch ein, dass die numerische Analyse nicht perfekt sei: Natürlich gebe es „immer mal wieder spezielle Wetterlagen, wo eine solche Analyse daneben liegt“, es könne sogar massive Abweichungen geben. „Das ist aber sehr selten.“ Man müsse nicht gleich das Verfahren insgesamt in Zweifel ziehen, sagt Habel. Die numerische Analyse liefere mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit richtige Werte, auch für Orte, die keine Messstation haben.

Wenn Kachelmann der Ansicht sei, das ‚Aktuelle Wetter‘ könne ausschließlich über Messungen bestimmt werden, müssten sich Meteorologen demnach eine „Grundfrage“ stellen:

„Ob man für die überwältigende Mehrheit der Orte ohne Messungen keine Aussagen mehr über das aktuelle Wetter treffen möchte – oder eben die entsprechende numerische Analyse durchführt.“

In einem Punkt stimmt Habel Kachelmann aber zu: Solche Werte dürften nicht als „Messwerte“ verkauft werden, und wenn das doch geschehe, habe Kachelmann recht mit seiner Kritik. Richtig sei hingegen, sie als „aktuelle Temperatur“ zu kennzeichnen – das werde auch von ihm täglich so gehandhabt. Deswegen habe Kachelmann auch Habels WetterOnline bereits öffentlich kritisiert; das Portal fälsche Temperaturen, schrieb er damals.

Ist es also am Ende alles nur Semantik? Und erwarten Menschen Messwerte von Stationen oder ist ihnen klar, dass einiges berechnet ist – und deshalb durchaus Schwächen hat? Von „faken“ oder „erfinden“ zu sprechen, wie Kachelmann, trifft es sicherlich nicht. Den Werten liegen ja immerhin echte Daten und eine wissenschaftliche Methode zu Grunde. Eine genauere Kennzeichnung und Differenzierung wäre dennoch besser – und transparenter.

Am Rand der rbb-Wetter-Seite steht:

„Ausgangspunkt jeden guten Wetterberichtes ist die genaue Messung vor Ort. Der rbb-Partner MeteoGroup hat dafür allein im Sendegebiet 26 Wetterstationen.“

Welche der Angaben daneben von Stationen kommen und welche bloß berechnet sind, steht da nicht.

Voriges Jahr hatte Kachelmann schon mal die Wetterwerte des rbb kritisiert, ausgerechnet im rbb-Medienmagazin auf RadioEins. Dessen Wettermoderator sagte damals spontan, er glaube, das seien echte Messungen: „Ich gehe davon aus“. Die Hörer dürften dann erst recht fälschlicherweise davon ausgehen.

Nachtrag nach Veröffentlichung auf Übermedien: Am Tag der Veröffentlichung des Beitrags auf Übermedien erklärte Daniel Rüd, Mitarbeiter von „Kachelmannwetter.com“, ebenfalls eine Darstellung des berechneten Wetters zu einem Ort einzuführen. Zwar wird auf dieser Seite transparent erklärt, dass es berechnet ist und aus welcher Datengrundlage es stammt, allerdings ist es auch eine Berechnung und damit genau das, was Kachelmann zuvor beim rbb-Inforadio bemängelt hat.

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