Es war ein Déjà-vu für fair radio bei den Tutzinger Radiotagen 2016: Radiomacher sprechen über Glaubwürdigkeitsprobleme. Vor neun Jahren taten sie das zum ersten Mal: 2007 wurde der Tutzinger Appell formuliert. Wir haben fair radio gegründet – und setzen uns seitdem für ein glaubwürdiges Radio ein!
Habe ein Deja vu: KollegInnen reden bei #tura16 offen über Glaubwūrdigkeitsprobleme wie damals bei @fairradio-Grūndung.
— Sandra Müller (@radiomachen) 12. September 2016
Die Diskussion in Tutzing 2016 hat gezeigt: Dem Radio geht es in Sachen Glaubwürdigkeit nicht so schlecht wie anderen Medien. Aber auch nicht gut. Viele Radiomenschen haben keine Lust auf Fake, Mauscheleien und Oberflächlichkeit. Sie wollen ihre Hörer ernst nehmen und Themen recherchieren statt bloß Content bearbeiten. Das macht Mut!
Deshalb ist es Zeit für einen neuen Appell: Hiermit rufen wir alle Kolleginnen und Kollegen in privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern auf, folgende Leitlinien zu unterstützen und umzusetzen:
Tutzinger Appell reloaded
Seien wir transparent – erklären wir uns selbst!
Wir berichten nicht nur über das Ergebnis der Recherche, auch die Recherche selbst sollten wir häufiger zum Thema machen. Gerade bei schwierigen und umstrittenen Themen erklären wir in Kollegentalks und im Gespräch mit Hörern, wie wir zu unseren Erkenntnissen gekommen sind; welche Probleme sich ergeben und wo es kein klares Ergebnis gibt.
Wie gehen wir mit Vorwürfen à la „Ihr berichtet nicht!“ um? – Berichterstattung besser dokumentieren! Themenübersichten im Netz können da helfen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass solche Bündelseiten gerade bei langen Recherchen und Themen, die immer wieder auftauchen, eine einfache Methode sind, um solchen Vorwürfen praktisch zu begegnen.
Zeigen wir, wer wir sind und was wir machen! Radiomacher auf Senderseiten sind oft degradiert auf den Unterhaltungsclown. Schwierig, wenn der Reporter gerade die Verfehlung der Stadtverwaltung kommentiert. Eine kurze inhaltiche Biographie wirkt glaubwürdiger als eine Aufzählung von Lieblingsessen und -getränk.
Vielleicht „witzige“ Biographien auf Senderseiten ändern & mit journalistischen Inhalten füllen, sagt @IngeSeibel #tura16 #Glaubwürdigkeit
— Katharina Thoms (@mediathoms) 12. September 2016
Nehmen wir unsere Hörer ernst!
Nicht nur Social Media ist ein Rückkanal. Wir diskutieren aktuell über die richtige Strategie bei der Moderation von Facebook-Kommentaren. Dabei reden wir on air doch schon viel länger mit unseren Hörern. Zurzeit sind sie aber eher Lieferanten von Grüßen und Musikwünschen. Holen wir sie ins Radio zurück und reden über politische und gesellschaftliche Themen mit ihnen.
Seien wir relevant – und setzen Themen!
Im Radio sind wir schnell – aber viel zu oft beteiligen wir uns ohne Not an Medien-Hypes und Skandalberichterstattung. Wir sollten mehr Mut haben, uns dem zu entziehen. Wir geben keine reinen Mutmaßungen und Spekulationen wieder. Sagen wir öfter, was wir wissen und nicht wissen!
Wir müssen auch mal den Mut haben NICHT zu berichten vs. nur über Relevantes zu berichten – Glaubwürdigkeit im Journalismus #tura16
— Eileen Amberg (@EileenAmberg) 12. September 2016
Erklären wir Hintergründe statt nur Schlagzeilen nachzuerzählen!
Setzen wir selbst unsere Schwerpunkte – und mehr eigene Themen. Versuchen wir, weniger auf Termin- und Pressemitteilungsjournalismus zurückzugreifen.
Wir empfinden Oberflächlichkeit und Atemlosigkeit zunehmend als Problem im Redaktionsalltag: Wir müssen in den Redaktionen wieder mehr über Themen diskutieren – hinterfragen und den Mut haben, etwas (gut begründet) zu verwerfen.
Unterschiedliche Zugänge zu einem Thema finden kristallisiert Relevanz, sagt @Journaille #tura16 #Journalismus
— Jürgen-M. Edelmann (@RadioEdelmann) 12. September 2016
Reden wir über unsere Fehler!
Fehler passieren.
On air was falsches erzählt? Zu schnell Mutmaßungen rausgeblasen?
Reden wir drüber!
Nehmen wir‘s auch mal mit Humor.
Lernen wir draus! (Recherche geht vor Schnelligkeit, zum Beispiel.)
Glaubwürdigkeit beginnt bei uns selbst: Erklärt Kollegen, die auf Missstände hinweisen nicht zu Nestbeschmutzern. #tura16
— fair radio (@fairradio) 12. September 2016
Vertuschen und Verheimlichen schadet unserer Glaubwürdigkeit. Die Hörer merken das doch sowieso nicht! Nehmen wir unser Publikum ernst, statt es zu veräppeln. Fundierte Kritik und Bedenken unserer Zuhörer sollten wir nicht als lästig abtun, sondern darauf reagieren und sie prüfen.
Für sie sollten Hörerhotlines und Programmbeschwerde-Portale leicht auffindbar sein und nicht versteckt im xten Untermenü einer Seite.
Auf https://t.co/gMdqJG7q2Y können Beschwerden zu priv. Sendern abgegeben werden. Wo ist so ein Angebot für ÖR? #tura16 #Glaubwürdigkeit
— (((mariok.))) (@glomse) 12. September 2016
Ausbilden statt ausbeuten!
Praktikanten und Volontäre sind motiviert, neugierig, voller Tatendrang. Bremsen wir sie also nicht aus, indem wir sie ihrem Schicksal überlassen. Es ist fatal, wenn junge Radiomacher aus ihrem Volo mitnehmen: Oberflächlichkeit und Fake sind an der Tagesordnung. Es ist egal, wenn ich schlecht vorbereitet zum Interview komme. Es kümmert niemanden.
Wissen junge Radiomacher zu wenig über ethische Standards und richtige Recherche? Dann sind wir auch selbst daran schuld!
Deshalb: Nachwuchs…
- schulen – nicht als billige Redakteure und Reporter missbrauchen.
- betreuen – bei Problemen und Herausforderungen im Beruf nicht allein lassen.
- diskutieren – auch intern Entscheidungen begründen – Arbeitsweise erklären.