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Das glaubwürdige Radio hat keine Chance – geben wir ihm dennoch eine Zukunft

Die Tutzinger Radiotage 2009.

Wer erwartet als „Vorbei“-Hörer schon ein glaubwürdiges, qualitativ überzeugendes Radio und ein Programm mit dem Auftrag, Menschen auf eine ehrliche und faire Art und Weise zu erreichen? Die Radiomacher wissen viel über ihre Hörer, und die erwarten keinen Journalismus mehr im eigentlichen und ursprünglichen Sinn. Deshalb bestimmen die analysierten Erwartungshaltungen der Nutzer immer mehr die Aktivitäten und damit das Programm vieler Radioanbieter – gewagte und provokante Thesen bei den „Tutzinger Radiotagen“.

Rund 40 Mitarbeiter aus öffentlich-rechtlichen und privaten Radios waren drei Tage lang im Gespräch zum Thema „Qualität als Radio-Strategie – neue Zukunft für ein altes Medium“. Mit dabei: Reporter, Redakteure, Radiojournalisten, Nachrichtenmacher, Geschäftsführer und Vertreter von Anbietergemeinschaften. Zum sechsten Mal hatte die „Akademie für politische Bildung Tutzing“ in Zusammenarbeit mit der „Bundeszentrale für politische Bildung“ zu einem Radioworkshop für Journalistinnen und Journalisten im Radio eingeladen. Doch Qualität zu definieren, den Begriff mit Blick auf die sich ständig verändernden Formate zu erklären, stellte sich dabei als vielschichtiges Problem dar.

Ist allein ein pfiffiges Format, ein durchhörbares Programm, eine in die Ohren gehende Musikauswahl so etwas wie der Beweis für Qualität? Oder ist es die Einschaltquote, die Zahlen der Media-Analyse? Wo bleiben die Wortbeiträge, die journalistische Auseinandersetzung mit den Themen des Alltags, der Kultur, der Politik und den gesellschaftlichen Entwicklungen? Das Zauberwort der neuen Formate heißt: kurz und prägnant. Doch Kürze hat fast immer etwas mit Oberflächlichkeit zu tun. Die Fähigkeit, etwas zu erklären, nimmt mit der Kürze der Beiträge ab, verliert an Qualität und leidet zwangsläufig auch sprachlich. Da erscheinen der viel gepriesene „Medienführerschein“ und die allseits geforderte medienpolitische Erziehung im Bildungssystem eher als Beruhigungstaktik und Ablenkungsmaßnahme von dem Problem der zunehmenden Niveaulosigkeit in deutschen Radios. Das gilt auch für die Macher der Programme, die mit immer intensiverem Qualitätsmanagement, QM-Steuerung, Feedbacks und On-Air-Checks auf eine Kompatibilität zwischen erklärter Qualität und vorhandener Oberflächlichkeit eingeschworen werden. Ziel: ein zunehmendes Nichts als ein eindeutiges Mehr an Qualität und damit auch als Wirkungspotential auf die Hörer zu definieren – bei den Radiotagen eine originelle Idee des Kabarettisten Rainer Dachselt aus Frankfurt. Deutlich wurden dabei auch die Parallelen zu Verfahren und Entwicklungen in der Industrie und Verwaltung.

Es geht immer um das Produkt, um die Vermarktung und Zufriedenheit der Kunden – sprich Hörer – und um die Profitabilität der Programme. Inhalte, Wahrheit, moralische Werte, ethische und gesellschaftpolitische Aufträge, journalistische Grundhaltungen und Erkenntnisse aus der Wirkungsforschung werden dem geopfert. Die zunehmende Leitbildformulierung in den Rundfunkanstalten nimmt diese Entwicklung kaum oder nur oberflächlich in den Fokus der Betrachtungen.

Allgemeinplätze zu benennen, hat nur wenig Auswirkung auf die Diskussion um und die Sicherung von Qualität im Hörfunk. Denn Absichtserklärungen müssen auch Taten folgen, forderten Mitglieder der Initiative FAIR RADIO bei den „Tutzinger Radiotagen“. Auf Verstöße gegen journalistische Grundregeln und medienpolitische Vorgaben dürfe nicht nur intern reagiert werden, solche Vorfälle müssten nach außen getragen und damit öffentlich werden. Das gelte für öffentlich-rechtliche Sendeanstalten – durch ihre Rundfunkräte kontrolliert – wie für private Radioanbieter – durch die Landesmedienanstalten überprüft. Auch das hat direkt und indirekt etwas mit Qualität und damit mit der Zukunft des Radios zu tun.

Nur weil Hörer wegschalten, nur noch vorbeihören, bestimmte Altersgruppen wegbrechen und sich immer mehr die Rotlicht- und Blaulichtthemen als Quotenbringer outen, dürfen sich die Grundsätze für ein glaubwürdiges Radio in einer demokratischen Gesellschaft nicht ändern: eine strikte Trennung von Werbung und Journalismus, das Gebot journalistischer Gründlichkeit vor dem Schnelligkeitsdiktat, eigener Recherche von Fremdquellen, Fairness im Umgang mit Informationsgebern und Gesprächspartner sowie die Verwendung von „Live“ nur in wirklichen Live-Situationen müssen selbstverständlich bleiben. Das fordert „Fair-Radio“ seit zwei Jahren zum Teil erfolgreich ein. Nur auf dieser Grundlage ist ein glaubwürdiges Radio auch in der veränderten Medienlandschaft und bei den sich ständig entwickelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu erhalten und zu rechtfertigen. Ein solches Radio ist nicht zwangsläufig langweilig, altmodisch oder einfach out. Kreativität bei der Programmentwicklung, neueste Kommunikationstechnik, pfiffige Vermarktungswege und das Gespür für die Themen der Zeit gepaart mit den journalistischen Grundtugenden und journalistischer Glaubwürdigkeit sorgen so für eine neue Zukunft für eine altes Medium.

Thomas Korte, freier Hörfunkjournalist, Korbach

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