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Ein Appell für das Zwei-Quellen-Prinzip

Da sind in dieser Wochen ja einige Medien der Titanic-Satire mit der angeblichen Spaltung der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion aufgesessen. Das Problem daran: es gab keine zweite Quelle. Schon im Januar 2016 hat fair radio-Unterstützerin Ann-Kathrin Büüsker in ihrem Blog für das Zwei-Quellen-Prinzip geworben. Recherche muss vor Schnelligkeit gehen, ist der erste Punkt unseres „Tutzinger Appells“. Wegen der aktuellen Ereignisse in dieser Woche, wiederholen wir den Text von Ann-Kathrin Büüsker unverändert an dieser Stelle.

Wenn du eine Information nur aus einer Quelle hast: Halte die Füße still. Erst wenn du die Fakten durch mindestens eine weitere zuverlässige & unabhängige Quelle verifizieren kannst, berichte. Und nein, andere Medien sind nicht als Quelle zu verstehen.
Das ist einer der ersten Grundsätze, die mir im Volontariat eingebläut wurden. Geltend vor allem mit Blick auf Nachrichten. Vor kurzem diskutierte ich dann mit einer Gruppe FSJler darüber, wie wir unsere Nachrichten auswählen und verwies auf dieses Prinzip. Und kam danach ins Grübeln. Mal ehrlich – gilt das heute eigentlich noch? Nö, nicht immer. Schade eigentlich.

Aktuellstes Beispiel: Der vermeitlich tote Flüchtling am LaGeSo in Berlin
Noch am Dienstag machten neue Berichte die Runde, dass es bei der Versorgung der Flüchtlinge hapere. Wieder einmal. Am Mittwoch hieß es dann: Ein Flüchtling ist vor dem LaGeSo gestorben. Eine „direkte Folge von der Wartesituation am Lageso“. Wir kennen die Zustände dort aus den vergangenen Monaten zu Genüge. Die Vorstellung, dass dort ein Mann wegen mangelnder Versorgung erkrankt und an den Folgen stirbt, sie ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Und doch gibt es dafür nur eine einzige Quelle: Die Hilfsorganisation ‚Moabit hilft‘. Bzw. ein Helfer. Einer Organisation, die eine, wenn auch ehrenhafte, Agenda vertritt. Die Nachricht vom toten Flüchtling macht ihre Runde in den sozialen Netzwerken. #LaGeSo schafft es auf Platz 1 der Trending Topics bei Twitter – und in die Nachrichten der überregionalen Medien. Auch im Deutschlandfunk haben wir darüber berichtet.(27.01.16, 13:10 Uhr) Mit Originalzitaten von Mitgliedern von ‚Moabit hilft‘, die die Glaubwürdigkeit ihres Mitstreiters betonen. Und auch mit dem Hinweis, dass die Behörden den Todesfall nicht bestätigen können. Denn ja – alle Beteiligten haben versucht die Geschichte „hart“ zu kriegen, die Verwirrung aufzulösen. Doch es ging nicht. Über Stunden hinweg reine Verwirrung, Spekulation, keine Bestätigung. Auch am Abend können wir nur berichten, dass wir wissen, dass wir nichts genau wissen. Auf der einen Seite finde ich eine solche „Prozessberichterstattung“ durchaus spannend, auf der anderen Seite frage ich mich: Hätten wir vielleicht besser die Füße still gehalten?
Abgesehen von der Tatsache, dass wir hier nur eine Quelle hatten, deren Aussage sich von verschiedenen anderen Seiten nicht verifizieren ließ, könnte man auch über die Art der Quelle diskutieren. Ich will damit nicht sagen, dass Informationen aus sozialen Netzwerken grundsätzlich misstraut werden sollte. Ich will damit sagen, dass wir mit solchen scheinbar „nahen“, unmittelbaren Informationen einfach sehr vorsichtig umgehen sollten. Und vielleicht auch zwischen Primär- und Sekundärquelle unterscheiden sollten. Die Hilfsorganisation stützte ihre Aussagen auf den Bericht eines Mitstreiters, konnte also selbst nur Informationen aus zweiter Hand weitergeben.
Im diesem Fall bin ich selbst unschlüssig, wie der korrekte mediale Umgang damit gewesen wäre. Es zu vermelden, aber gleichzeitig zu sagen, dass die Information nicht verifiziert werden kann, ist ein Weg. Er lässt mich jedoch unzufrieden zurück. Hinterher ist man sowieso immer schlauer. Aber die Tatsache, dass sich die Geschichte am Ende als Hoax herausgestellt hat, spricht eigentlich für das Zwei-Quellen-Prinzip.

Streng genommen wurde es in den meisten Medien ja auch eingehalten. Quelle 1 (Moabit hilft) sagt: Ein Flüchtling ist gestorben. Die Quelle 2 (Polizei) kann dies nicht bestätigen. Dieser Widerspruch der Aussagen wurde in der Berichterstattung deutlich herausgearbeitet. Das Problem ist bloß: Nach diesem Prinzip kann theoretisch alles in den Nachrichten landen.

Das Paradenegativbeispiel: Die „Bombe im Krankenwagen“
Es ist der Abend des 17. Novembers 2015, nur wenige Tage nach den Anschlägen von Paris, als in Hannover in letzter Minute das Fußballländerspiel abgesagt wird. Ein Abend, der viele verunsichert hinterlässt – nicht nur wegen des legendären Zitats von Innenminister Thomas de Maiziere.
An diesem Abend machen bei Twitter zahlreiche Neuigkeiten die Runde. Eine davon verbreitete die Syker Kreiszeitung:

Im Bereich des Stadions in Hannover soll ein so genannter Gefährder gesichtet worden sein, der den Behörden bekannt ist. Sicherheitskräfte haben zudem einen Rettungswagen entdeckt, in dem sich Sprengstoff befand. Quelle

Eine konkrete Quelle, von der diese Aussage stammen sollte, nannte die Zeitung nicht. Nach der gemeinsamen Pressekonferenz von Niedersachsens Innenminister Pistorius und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere ergänzte das Blatt die Information , dass laut Pistorius kein Sprengstoff gefunden worden war. Einige Tage später rechtfertigte das Blatt seine Berichterstattung damit, die Quelle sei„seriös“ gewesen und verwies zudem auf ein entsprechendes Papier des Verfassungsschutzes, das die BILD veröffentlicht hatte.
Mir geht es gar nicht darum den tatsächlichen Wahrheitsgehalt dieser Aussage an dieser Stelle zu veri- oder falsifizieren. Es geht mir vielmehr um den Umgang  mit dieser vermeitnlichen „Information“. Zahlreiche Medien haben die Meldung aufgegriffen. Die Kolleg*innen von Bildblog haben die Verbreitung der „Nachricht“ ganz wundervoll aufbereitet: „Dochnichtnews aus Hannover“

Eine vermeintliche Nachricht aus nicht näher benannter Quelle, in keinster Weise von irgendwem verifiziert.
Also ein Gerücht.
Auch hier zeigt sich: Auf das Zwei-Quellen-Prinzip zu vertrauen wäre wohl die bessere Variante gewesen. Auch wenn es gerade in solche Situationen natürlich schwierig ist. Und manchmal vielleicht auch nicht praktibel…
Im Alltag heißt das aber nun einmal auch: Füße stillhalten.
Das ist umso schwieriger, wenn der soziale Stream an einem vorbei rauscht, ein Thema ganz oben auf der Welle der Aufmerksamkeit surft und man sich geradezu wünscht es aufgreifen zu können. In dem Wunsch das abzubilden, was gerade aktuell ist. Oder zu sein scheint. Vielleicht ist die Sache mit den zwei Quellen vor diesem Hintergrund gerade der  richtige, entspannte und hysteriefreie Weg(, der in den meisten Fällen ja ohnehin eingehalten wird. Das darf man nun auch nicht vergessen..).
Ich weiß es auch nicht. Aber ich finde den Gedanken wertvoll. Lasst uns drüber reden!

Ann-Kathrin Büüsker ist Unterstützerin von fair radio und arbeitet für den Deutschlandfunk. Dieser Text erschien zuerst auf ihrem Blog uedio.de

 

 

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