
Oder: Wie weit darf ein Sender gehen?
Wie sich Radio-Geschichte doch wiederholt: 1LIVE hat ein Hörspiel in den redaktionellen Teil des Programms verlängert. Es ging um eine verschwundene Frau und einen ominösen Todesfall. Und jede Menge Hörer haben sich gegruselt, aber erst spät oder gar nicht kapiert: Das war ein Fake, eine erfundene Geschichte.
Ein bisschen also wie damals, 1938, bei Orson Welles und dem „Krieg der Welten“. Der gilt seither als Klassiker der Radiogeschichte. Als große Kunst. Oder doch als Kasperltheater?
Im fair radio-Team jedenfalls sind wir uneins: Darf man das oder darf man das nicht?KASPERLTHEATER – NICHT GERECHTFERTIGT
sagt Katharina Thoms
Große PR und viel Aufwand IM PROGRAMM für ein Hörspiel um 23 Uhr. Und das in einer Jugendwelle. Dafür verdient 1LIVE dich eigentlich Respekt. Und RadiomacherInnen könnten sich freuen, dass über ihr Medium viele (alle sicher nicht) reden:
1LIVE hat es mit seinem Live-Hörspiel für ein Hörspiel im Hörspiel geschafft: Menschen reden drüber. Medien berichten drüber. Von der Suche nach der geheimnisvollen Gewinnspiel-Anruferin, die dann plötzlich gestorben sein soll.
Zwischendurch waren aber einige entsetzt. Und das zu Recht.
On Air erfährt der ahnungslose Reporter von einer wütenden Mutter: Die geheimnisvolle Anruferin sei ihre Tochter. Und die sei tot. Alles klingt wie schlechter Bourlevardjournalismus. Eine aufgebrachte Mutter, ein stammelnder Reporter. Ungelenke Reaktionen der Moderatorin. Es klingt geschmacklos.
Und irgendwie können wir uns alle „sowas“ doch vorstellen: Dass die das wirklich machen, da beim Radio. Denn mit der Glaubwürdigkeit ist es da ja eh nicht weit her:
Entweder @1LIVE zieht gerade ne ziemlich gruselige Nummer durch oder hat ein krassen Bock geschossen. #toteMira
— derFriedri.ch (@elfritzos) 27. Oktober 2015
@1LIVE Ganz ehrlich? Diese Nummer mit Mira Kreft finde ich echt geschmacklos! Menschliche Intelligenz hätte ich in dem Fall besser gefunden! — Simone (@MosineSuhrbier) 28. Oktober 2015
@frheinrich @1LIVE Gesehen, danke! Als ich es im Auto hörte, war ich schockiert und hab evtl. Auflösung nicht gehört. IMHO zu krass. #mira
— Philipp Ostrop (@PhilippOstrop) 27. Oktober 2015
Was ist denn da los?! Ihr veralbert uns doch nicht @1Live? Dachte gestern, dass das ein Fake (von Männern) ist, wg. Gesprächsabbruch. #Mira — Frau Baal (@frau_baal) 27. Oktober 2015
Der Schocker wird danach auch nicht direkt aufgelöst on air. (Das ist ja Sinn dieser Programm-PR.) Erst 4 Tage später erklärt 1LIVE-Moderatorin Sabine Heinrich im Radio, Leute, das war doch ausgedacht. Aber, süß, wie ihr helfen wolltet und Euch Sorgen gemacht habt. Immerhin hat der Sender schon vorher in einem kleinen Onlineabsatz daraufhin gewiesen.
Viele bleiben aber im Ungewissen. Aber auch die Hörer, die schnell skeptisch werden, fragen sich: Muss das wirklich sein?
PR mit einer Toten? Und dann so tun, als sei das alles echt? Ich finde, das nicht gerechtfertigt. Ich bin gern für drastische Worte und Umsetzungen. Und eine spannende Story kann man auch ohne Fake sehr mitreißend erzählen. Aber die 1LIVE-Nummer ist kein Krimi mit Ansage. Keine Satire. Die Nummer deckt nichts auf. Letztlich ist es nur: Werbung. Und dafür geht mir ein boulevardähnlicher Überfall auf ne Mutter mit ner frisch gestorbenen Tochter eindeutig zu weit.
KUNST – GERNE HÄUFIGER
sagt Markus Bender
1LIVE hat alles richtig gemacht. Die Spurensuche nach Mira Kreft im Radio war ein Hinhörer und spannend bis zum Schluss. Selten haben Hörer so viel Lust auf ein Hörspiel mit einem interessanten und relevanten Thema bekommen.
Damit hat der Sender sein Ziel erreicht.
Sicherlich muss in Frage gestellt werden, ob der Sender die Aktion zu Beginn (vor allem in Zusammenhang mit der toten Tochter) hätte noch besser kennzeichnen können. Aber ich finde durch die Art der Moderation war klar, dass die Spurensuche schon längst Teil eines Hörspiels ist: Zum einen wurde indirekt immer wieder auf ein „Hörspiel“ und teils direkt auf die Webseite mit Auflösung hingewiesen, zum anderen klang die Spurensuche doch sehr „gespielt“ und hat sich dadurch sehr deutlich vom üblichen redaktionellen Programm abgehoben.
Akzeptabel ist die Aktion auch deshalb, weil sie „on air“ aufgelöst wird (was beispielsweise bei skandierten Gewinnspielen nicht der Fall ist). Wenn eine solche Art des Storytellings unter diesen Bedingungen stattfindet und keine wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund stehen, kann sowas meiner Meinung nach gerne häufiger im Radio laufen.
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