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Wohin mit den Zweifeln? – Das Radio braucht eine neue Beschwerdekultur

Der Hörfunk darf kritische Macher nicht länger alleine lassen mit ihren Ansprüchen und Fragen. Es braucht eine vertrauenswürdige Anlaufstelle, die die Anregungen aufmerksamer Kollegen ernst nimmt. Wie das funkionieren könnte? Überlegungen von Udo Seiwert-Fauti.

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Wenn ein Pilot einen Beinahe-Crash verursacht, kann er sich in vielen Fluggesellschaften anonym und vertrauensvoll an eine Stelle wenden, die sicher stellt, dass sich der zugrunde liegende Fehler nicht wiederholt.

Wenn eine Krankenschwester den Eindruck gewinnt, dass durch Missstände im Krankenhaus, das Leben von Patienten gefährdet ist, kann sie sich ohne Sanktionen fürchten zu müssen, in vielen Häusern an eine Vertrauensstelle wenden, deren Auftrag es ist, die Missstände im eigenen Interesse zu bereinigen.

Auch Städte und Kreise, die Bundesregierung und die EU haben solche Ombudsleute und Vertrauensstellen.

Doch wohin wendet sich die Hörfunkjournalistin, der Radiomacher, die Moderatorin, der Reporter, der/die den Eindruck hat, dass in seinem/ihrem Sender, moralisch fragwürdige Standards um sich greifen? Was, wenn er/sie Zweifel an der Aufrichtigkeit, Integrität, ethischen Korrektheit von Sendeinhalten hat? Dann spricht er in der Redaktion darüber? Von wegen!

In vielen Redaktionen, das hat die auch die jüngste Diskussion beim Radioworkshop der Bundeszentrale für politische Bildung in Tutzing wieder gezeigt, ist für Gespräche über ethische Standards kein Platz.

Die Folge:

Viele Kollegen bleiben mit ihren Bedenken allein. Sie arbeiten unter Bauchschmerzen, fügen sich den Vorgaben. Denn wie sieht es denn im Redaktionsalltag aus, wenn sich ein Hörfunkjournalist aus Gründen des Berufsethos weigert, z.B. einen Studio-Beitrag übers Freibad mit Wassplätschern „aufzumotzen“, um ihn wie live vor Ort klingen zu lassen, obwohl er doch gar nicht im Freibad war?

Was, wenn eine Reporterin sich nicht absagen will mit „Lieschen Müller, Mainz“, weil sie nicht vorgaukeln will, in Mainz zu sein, wo sie doch in Wahrheit in Wiesbaden sitzt? Was, wenn ein Kollege den Verdacht hat, dass für einen angeblich redaktionellen Beitrag in Wahrheit Geld von einem Werbekunden geflossen ist? Was, wenn die Moderatorin keine Lust mehr hat, ein Gespräch mit einem Interviewpartner vorzutäuschen, das in Wahrheit nie stattgefunden hat, sondern nur als Schauspieldialog mit vorgefertigen Antworten über den Sender geht? Wer dem Tutzinger Appell folgt und sich weigert solche Spielchen mitzumachen, muss sich nach wie vor auf eine entmutigende „Qualitäts-Beschwerde-Ochsentour“ durch die Radiohierarchien gefasst machen. Er erntet bei CvDs, Redaktionsleitern, Studioleitern und manchmal auch bei Personalvertretungen Unverständnis, Kopfschütteln und durchaus oft auch Druck. „Das war schon immer so, das versendet sich, mach nicht so `nen Aufstand, du spinnst doch,“ sind übliche Antworten der redaktionell Verantwortlichen!

Man kann sich darüber wundern. Doch in nahezu allen Fällen sind die „Beschwerde-Ansprechpartner“ selbst Journalisten, die sich über manche Vorgehens- und Arbeitsweisen, die FAIR RADIO deutlich und unmissverständlich als Betrug am Hörer bezeichnet, kaum bis gar nicht Gedanken machen. „Redaktionell Verantwortliche“ stempeln KollegInnen als „Spinner“ ab, wenn diese wieder „wirkliche Beitragsqualität“ fordern und durchsetzen wollen.

Wie also wäre es, wenn es in deutschen Radiohäusern unabhängige und gestandene Ombudsleute gäbe, die über die journalistische Beitragsqualität wachen und diese im Zweifelsfall durchsetzen?

Diese Ombudsleute müssten den Redaktionsalltag kennen, gestandene JournalistInnen sein und vertraglich festgelegte Aufgabengebiete und Durchsetzungsmöglichkeiten haben. Auf gut deutsch: Wenn der „Qualitäts-Ombudsmann“, die „Ombudsfrau“ entscheidet, eventuell auch ein Gremium aus mehreren solchen „Ethikbeauftragen“, dann MÜSSTE das Entschiedene in den Redaktionen ohne Wenn und Aber umgesetzt werden.

Selbstverständlich müssten die Gespräche mit den OmbudskollegInnen vertraulich sein und dürften zu keinerlei Konsequenzen für den Beschwerdeführer haben.

Eines ist derzeit sicher: das aktuelle System der „journalistischen Beschwerde“ funktioniert nicht mehr, es ist überholt. Neue Wege müssen beschritten werden, um der Beitragsqualität im Radio wieder zu einem Neuanfang zu verhelfen.

Wir von der Initiative FAIR RADIO denken, ein/e „Qualitäts-Ombudsmann/-frau“ könnte ein Anfang sein. Es wäre eine Chance, kritischen und engagierten Radiomacher/innen wieder eine Anlaufstelle zu bieten, bei der sie ernst genommen werden, statt sie mit ihren Zweifeln in die ohnmächtige Resignation zu treiben.

Denn wie eingangs gesagt:
Bei den Fluggesellschaften ist auf die Art schon so mancher Passgier gerettet worden, in den Krankenhäusern so mancher Patient. Wir könnten auf die Art womöglich die Glaubwürdigkeit unseres Mediums retten.

Reaktionen auf unseren Vorschlag sind willkommen und erwünscht!

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